Bibliothek eines Traumas

Am 13. Februar jährt sich die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg zum 70. Mal. Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr geht aus diesem Anlass Spuren der Zerstörung der Stadt in Erinnerungsbüchern, Romanen und Gedichten nach. 

(c) 2015 Andrea Ulke/MHM

Wie kann man komplexe literarische Texte in einen Ausstellungsraum übersetzen, noch dazu wenn es um ein geschichtspolitisch aufgeladenes Ereignis wie die Zerstörung Dresdens geht? Wie umgeht man es, der Legendenbildung nur ein weiteres Kapitel hinzuzufügen, wenn viele der Autoren aus dem Kenntnisstand ihrer Zeit heraus mit überhöhten Opferzahlen arbeiten und zum Teil historisch falsche Einordnungen vornehmen? Und auf welche Weise kann man angesichts deutscher Verbrechen von deutschem Leid erzählen? Fragen wie diese stellen sich, schon bevor man die Ausstellung „Schlachthof 5 – Dresdens Zerstörung in literarischen Zeugnissen“ im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden betritt, die das Haus aus Anlass des 70. Jahrestags der Bombardierung der Stadt durch britische und amerikanische Fliegerverbände am 13. und 14. Februar 1945 zusammengestellt hat.

Erinnerungsberichte und Romane, die zum Teil eigenes Erleben spiegeln, ein Libretto, ein Drehbuch und Gedichte sollen, so die Ausstellungsmacher, eine andere Annäherung ermöglichen, als sie die Geschichtswissenschaft bietet. Und sieht man all die zusammengetragenen Handschriften, Typoskriptseiten und Bücher, bei denen es sich nur um eine Auswahl der prominentesten handelt, dann fällt als erstes auf, dass von einem „Überlieferungsdefizit“, wie es der Schriftsteller W. G. Sebald Ende der 90er-Jahre für den Luftkrieg in der deutschen Literatur behauptete, in Bezug auf Dresden kaum die Rede sein kann, auch wenn der berühmteste Titel zum Thema, der Antikriegsroman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ aus dem Jahr 1969, der der Ausstellung den Titel gibt, nicht in Deutschland verfasst wurde, sondern von dem amerikanischen Schriftsteller Kurt Vonnegut stammt.

Er hatte die Bombardierung als Kriegsgefangener in einem Fleischkeller des damaligen Schlachthofs am Rande des Dresdner Ostrageheges überlebt und bezeichnete sie in seinem fragmentarisch, mit Zeitsprüngen und Exkursen über die Schwierigkeit des Schreibprozesses erzählten Buch über die Erlebnisse seines traumatisierten Protagonisten Billy Pilgrim noch als „das größte Blutbad in der europäischen Geschichte“.

Ob die Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ des damaligen Kreuzkantors Rudolf Mauersberger, die bereits im August 1945 uraufgeführt wurde, oder Durs Grünbeins Gedichtzyklus „Porzellan“, geschrieben 1992 bis 2005, ob Erich Kästners Zeitungsreportage „… und dann fuhr ich nach Dresden“ aus dem Jahr 1946 oder Marcel Beyers Roman „Kaltenburg“ von 2008: An die Zerstörung Dresdens wird seit Jahrzehnten und auch in Deutschland literarisch erinnert. Sogar ein Punkrock-Song und der ZDF-Zweiteiler „Dresden“ (2006) verweisen auf sie. Zuerst durch die NS-Propaganda und später die Instrumentalisierung des Ereignisses in der DDR, aber auch durch Bilder und eben Bücher wurde der Stadtname zu einer Chiffre für den Bombenkrieg überhaupt.

Die Ausstellung beginnt deshalb mit einem Prolog, der eine Einordnung des „Beispiels Dresden“ und des Leidens seiner Bevölkerung in den Zusammenhang von Städtezerstörungen im Zweiten Weltkrieg und auch eine Korrektur langlebiger Legenden liefert – von der nicht belegbaren Zeitzeugen-Erinnerung an vermeintliche Tiefflieger-Angriffe auf Ausgebombte, zu der sich der Ausstellung zufolge die Beobachtungen tieffliegender, aber unbewaffneter Markierungsflugzeuge in der Nacht und ein Luftkampf zwischen deutschen und alliierten Jägern am darauffolgenden Tag verbunden haben könnten, bis hin zum Mythos von der Unschuld der Stadt, der militärischen Sinnlosigkeit und angeblichen Einzigartigkeit ihrer Zerstörung.

Die Texte selbst und ihre Verfasser werden in einzelnen Stationen mit Auszügen, Porträtfotos und Erinnerungsstücken, auch Zeichnungen und Gemälden vorgestellt. Da ist zum Beispiel der Dresdner Maler Otto Griebel, der mit seinen in den 80er-Jahren postum veröffentlichten Lebenserinnerungen „Ich war ein Mann der Straße“ und Blättern aus seinem 1945 entstandenen Bilderzyklus „Der Tod von Dresden“ vertreten ist. Er irrte in der Nacht dieses Faschingsdienstags mit seiner Familie durch die brennende Stadt. „Mitten durch das Flammenmeer bin ich mit Frauen und Kindern gegangen, habe dem Feuersturm zum Trotz das Leben durchgebracht“, wird er zitiert, „aber es wird viele, viele Jahre dauern, bis diese Erlebnisse nicht alle Tage meine Gedanken streifen.“

Da ist Roman Halter, der als polnischer Jude im Holocaust die Geschwister, Eltern und Großeltern verlor. Er selbst war im September 1940 aus seiner Heimatstadt Chodecz verschleppt worden und über das Ghetto von Lodz, die Todeslager Auschwitz-Birkenau und Stutthof Ende 1944 als Sklavenarbeiter in eine Dresdner Munitionsfabrik gekommen, wo er den Beginn des Angriffs erlebte. „Die SS-Wachen, sonst immer draufgängerisch und großmäulig, sahen nun blass und verschreckt aus“, heißt es in seinen 2007 erschienenen Erinnerungen „Romans Reise durch die Nacht“. „Wie habe ich mich danach gesehnt, in einem dieser Flugzeuge zu sein und in die Freiheit zu fliegen.“

Da ist der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch, der in dem Roman „Das steinerne Brautbett“ (1959) einen ehemaligen US-Bomberpiloten mit der von ihm mitzerstörten Stadt konfrontiert, ebenso wie der Autor Jonathan Lethem, in dessen Roman „Der Garten der Dissidenten“ (2013) eine amerikanische Tochter mit ihrem deutschjüdischen, aus dem Exil in die DDR zurückgekehrten Vater über die Bombardierung Dresdens diskutiert. Er hält sie gemäß der offiziellen Doktrin für eine Barbarei der Engländer und Amerikaner, während die deutschen Angriffe auf Guernica, Rotterdam und Coventry militärisch gerechtfertigt gewesen seien. Die Tochter hingegen beharrt auf „Leiden ist Leiden“. Die Zerstörung Dresdens sei nicht tragischer als die von Guernica gewesen.

In der Vielstimmigkeit, der Verschiedenheit der Perspektiven – das ähnelt Walter Kempowskis hier ebenfalls vertretenem, aus Zitaten montierten Buch „Der rote Hahn“ (2001) – vermittelt die Ausstellung ein Bild des Ganzen. Dabei begegnet einem trotz aller Unterschiede das Motiv der seelischen Verwundung immer wieder, die diejenigen, die Gewalt erfahren haben, oft ein Leben lang beschäftigt. Sei es, dass sie in einen regelrechten Kult der in Trümmern liegenden Vergangenheit flüchten wie die auf einem realen Vorbild basierende Figur des Alfred Dorn in Martin Walsers Roman „Die Verteidigung der Kindheit“ (1991). Sei es, dass sie sich wie Kurt Vonnegut über Jahrzehnte an der Suche nach einem Ausdruck für das erlebte Grauen abarbeiten. Auch dass einen die Ausstellung damit berührt, ist ihr Verdienst. Robert Schröpfer

Die Ausstellung ist bis 12. Mai im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden zu sehen. Geöffnet ist täglich (außer mittwochs) 10 bis 18 Uhr, montags 10 bis 21 Uhr. Der lesenswerte Katalog kostet 20 Euro.

Gedruckt erschienen in der Freien Presse Chemnitz am 12. Februar 2015.

Das Bild oben zeigt eine Regalreihe mit „Dresden“-Literatur in der Ausstellung (Foto: Andrea Ulke/MHM).

Und hier der Song „Just like Dresden 45“ der New York Niggers von 1979, der in der Ausstellung vorkommt und in dem sich „Dresden“ als Chiffre für Zerstörung – Banalisierung als Provokation, schreiben die Ausstellungsmacher – nur noch aufs Innere eines Individuums bezieht:

Hinterlasse einen Kommentar