Sein ärgster Feind

Propaganda und Kanonen: Mitten im brandenburgischen „Friedrichjahr“ wirft eine Ausstellung in Branitz ein neues Licht auf einen sächsischen Kontrahenten des Preußenkönigs – den Minister Brühl.

Graf Brühl, porträtiert von Marcello Bacciarelli (um 1745), © SKD_Pückler-Museum

Der eine ein asketischer Philosoph auf dem Thron – hart gegen andere, aber auch gegen sich selbst. Der andere ein gewissenloser Emporkömmling – prunksüchtig, eigennützig, eitel und intrigant. Die Bilder, die sich von Preußenkönig Friedrich II. (1712 bis 1786) und seinem sächsischen Widersacher Heinrich Graf von Brühl (1700 bis 1763) bis heute halten, könnten gegensätzlicher kaum sein.

„1.500 Perücken und keinen Kopf“, so sprach Friedrich über seinen Kontrahenten. „Ohne besondere Fähigkeiten und ohne staatsmännische Einsicht verstand er doch seinen Herrn völlig zu leiten“, hielt Meyers Konversationslexikon anderthalb Jahrhunderte später über den Grafen fest. Und der polnische Schriftsteller Józef Ignacy Kraszewski, der die Sachsen, verglichen mit den Preußen, noch als das kleinere Übel empfinden musste, fällte das kaum mildere Urteil, beide – Friedrich wie Brühl – hätten „Formen des Bösen“ verkörpert. „Brühl“, schrieb er, „war der glänzende Vertreter der Lüge, Friedrich der des Zynismus.“

Ausgerechnet in Brandenburg, wo man in diesem Jahr mit Ausstellungen und Buchveröffentlichungen den 300. Geburtstag Friedrichs begeht, und im nahen Polen wird nun in diesem Sommer in einem dreiteiligen Ausstellungsprojekt des sogenannten europäischen Parkverbunds Lausitz ein Versuch unternommen, an dem sich zuletzt auch einige Brühl-Biografen abgearbeitet haben: dem sächsischen Minister Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – und auf Facetten im Verhalten Friedrichs hinzuweisen, die alles andere als aufgeklärt erscheinen.

So eröffnen Mitte August zwei Teile der Ausstellung in den einstigen Brühlschen Besitzungen Forst und Pförten (heute Brody), die am authentischen Ort regionalgeschichtlichen Aspekten nachgehen. Schon jetzt wird im nahegelegenen Pückler-Park Branitz bei Cottbus unter dem Titel „Friedrich der Große und Graf Brühl“ die „Geschichte einer Feindschaft“ erzählt. Und wenn man im dortigen Marstall durch die mit Porträts beider Kontrahenten und damaligen Stadtansichten, mit Büchern und Briefkopien, Porzellan, einer Kanone und Gewehren bestückten vier Ausstellungsräume geht, dann wird schnell klar, dass es sich bei den bis heute gängigen Urteilen über Friedrich und vor allem über Brühl womöglich um nichts anderes als das Produkt erfolgreicher preußischer Propaganda handelt.

Natürlich gibt es auch in Branitz den Karrieristen Brühl zu sehen, dem ein beispielloser Aufstieg vom Pagen aus der Weißenfelser Provinz zum mächtigsten Mann des Landes gelang. Und es wird keineswegs verschwiegen, dass er nicht nur aufgrund königlich-kurfürstlicher Zuwendungen, sondern ebenso mit Grundstücksspekulationen und auch jeder Menge Schulden zu Pracht und Wohlstand kam. Doch ein nach Brühls Tod angestrengter Prozess wegen Veruntreuung musste aus Mangel an Beweisen eingestellt werden. Und bei angeblichen Intrigen Brühls wird hier stets auf die Quellenlage für derlei Anschuldigungen verwiesen, die äußerst dürftig und zweifelhaft sein muss.

Vor allem aber betont die Ausstellung die Weitsicht des viel geschmähten Höflings als Diplomat. Denn auch wenn Sachsen und Preußen nach dem Einmarsch Friedrichs ins bis dahin österreichische Schlesien 1740 zunächst gemeinsam kämpften, lag auf der Hand, dass die Interessen beider Länder keineswegs identisch waren. Sachsen, dessen Kurfürst zugleich König von Polen war, strebte eine unmittelbare Landverbindung dorthin an, was Preußen missfallen musste. Und Friedrich stellte später sogar die Souveränität des Nachbarlandes in Frage. Mit Sachsen oder wenigstens der Lausitz, so der Monarch, lasse sich sein Königreich passend arrondieren.

Brühl versuchte solche Pläne, die durch die militärische Übermacht Preußens nicht nur eine hypothetische Bedrohung darstellten, mit einer aktiven Bündnispolitik zu durchkreuzen und zu diesem Zweck insbesondere die bis dahin verfeindeten Österreicher und Franzosen miteinander auszusöhnen. Damit, so hält die Ausstellung fest, wurde der begabte Diplomat dem Preußenkönig und dessen beiden wichtigsten Zielen hochgefährlich: Friedrichs Ruhm und der Eroberung Schlesiens. Plausible Gründe also für eine veritable Feindschaft.

Für Friedrich selbst jedoch ist in der Branitzer Schau wenig mehr als eine Wandlung vom einstigen Bewunderer des Dresdner Glanzes zum hasserfüllten Neider zu konstatieren. Der Monarch gab Schmähschriften gegen den „Ränkeschmieder“ und „Aufwandmacher“ Brühl in Auftrag und war sich nicht zu schade, höchstpersönlich Drohungen gegen diesen abzufassen. „Schon siehst Du den Krieg erklärt, und Preußen mit hundert Nationen im Bündnis“, schrieb der Hohenzoller in Odenform, um nach der Besetzung Sachsens im Siebenjährigen Krieg nach 1756 dann tatsächlich Brühlsche Schlösser – im Falle Grochwitz‘ (heute Land Brandenburg) und des Dresdner Belvederes (damals im Brühlschen Terrassengarten) gar in eigener Aufsicht – unter dem Vorwand der Vergeltung plündern, verwüsten und sogar anzünden zu lassen.

Wenn das bereits zitierte Meyersche Lexikon noch am Beginn des 20. Jahrhunderts davon wissen wollte, Brühl sei es gewesen, der sich auf Friedrichs Verachtung hin zu „tödlichem Hass gereizt“ gefühlt habe, erfährt man jedenfalls in Branitz das glatte Gegenteil. Friedrich war es offenbar, der wütete, während sich Brühl im Ton zurückgehalten haben muss. Warum sich beider Gegnerschaft im Falle Friedrichs allerdings derart ins Persönliche steigerte, hinter diesem Rätsel belässt auch diese Schau – statt über Charaktereigenschaften zu spekulieren – dramaturgisch klug ein Fragezeichen. Die suggestive Wirkung: Man denkt sich selber seinen Teil.

Die Pointe der behutsam inszenierten, auf kurze Texte und die Erzählkraft ihrer Exponate setzenden Ausstellung aber liegt in ihrem Schluss. Denn nicht nur, dass sich Friedrich nach Ende der Kriege mit dem Neuen Palais im Potsdamer Park von Sanssouci einen Prunkbau errichtete, der dem Brühlschen Palais in Dresden in nichts nachstand, und dafür über Mittelsmänner sogar Stücke aus Brühls Nachlass kaufte. Brühls Nachkommen sollten beim einstigen Feindesland als „gute Preußen“ bald Karriere machen, während sie sich im heimischen Sachsen mit Beschlagnahmungen ihres Erbes herumzuschlagen hatten. Dort war Friedrichs Propaganda offenbar sehr nachhaltig verfangen. Robert Schröpfer

Gedruckt erschienen in der Freien Presse Chemnitz am 12. Juli 2012.

Friedrich II., porträtiert von Antoine Pesne (1740), © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten

Schloss Branitz, © Stiftung Fürst-Pückler-Museum Branitz

Brühl in Branitz, Forst und Pförten

Die Verbundausstellung umfasst insgesamt drei Teile. In Pförten, dem heutigen Brody (Polen), wird ab 12. August auf Tafeln im Freien die Geschichte des Ortes und des dortigen früheren Brühlschen Schlosses erzählt. In der Stadtkirche in Forst, wo sich das Grab Brühls befindet, öffnet am 13. August eine Ausstellung über Brühl und „seine Stadt“. Geöffnet ist dort bis 31. Oktober immer dienstags bis samstags, 10 bis 16 Uhr.

Glanzstücke der Branitzer Schau, die bereits eröffnet ist, sind zum Beispiel eine Terrine aus Brühls legendärem, insgesamt 2.200 Stücke zählendem Meißener Schwanenservice und eine zeitgenössische Kopie des Gemäldes „Die Familienzusammenkunft zu Neuhaus 1737“ von Louis de Silvestre, das die Verwandtschaft der sächsischen Wettiner mit den kaiserlichen Habsburgern unterstreicht.

Die Ausstellung in Branitz ist bis 31. Oktober im Marstall des Pückler-Parks, Robinienweg 5, Cottbus, zu sehen. Geöffnet ist täglich 10 bis 18 Uhr.

Weitere Infos im Internet gibt es hier.

Terrine mit Galatea aus dem Schwanenservice, Meissen 1740, © Porzellansammlung, SKD

Die Abbildungen zeigen den Grafen Brühl, um 1745 porträtiert von Marcello Bacciarelli (© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Friedrich II., 1740 porträtiert von Antoine Pesne (© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Foto: Roland Handrick) und das Pückler-Schloss in Branitz (© Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz, Foto: K. Daate) sowie eine Terrine mit Galatea aus dem Schwanenservice, Meißen 1740, (© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden). Mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Branitz.