Melancholia und die Meteorologie der Krise

Warum Lars von Triers aktueller Kinofilm lange nachwirkt. 

Melancholia

Es gibt wichtigere Themen als das Wetter, und am vergangenen Wochenende hat es sich mit dem heraufgezogenen Regentief sowieso gedreht. Dennoch war der zurückliegende November, sonst eine Zeit grauer Depression, in diesem Jahr mit seinen Lichtspielen, dem klaren Taghimmel und den blassrosa Sonnenuntergängen höchst bemerkenswert. Beinahe unwirklich mutete einem dieser Monat an, und wenn die sonnenbeschienene Oberfläche des Mondes am Nachmittag zwischen Schäfchenwolken stand, konnte einen das an Lars von Triers aktuellen Kinofilm „Melancholia“ erinnern, dessen handelnde Personen gebannt auf den titelgebenden, fremden Planeten Melancholia blicken, der – so will es der Plot – todbringend auf die Erde zurast.

Dem Film, der zwei Schwestern im Angesicht der Katastrophe zeigt, wurde der Vorwurf gemacht, er verherrliche die Depression. In der ersten Hälfte, die von einer Hochzeit erzählt, trennt sich eine der beiden, gespielt von Kirsten Dunst, scheinbar ohne Anlass, aus einer sie plötzlich ergreifenden Melancholie heraus von dem ihr gerade angetrauten Mann und bricht auch sonst auf selbstzerstörerische Weise mit fast allen, die ihr nahe stehen.

Die eigentliche Vermählung aber findet in der zweiten Hälfte statt: Der Bräutigam ist in Wahrheit der fremde Planet, für den Kirsten Dunst schon zu Beginn ihr weißes Brautkleid trug. Nur dass sie es da noch nicht wusste. Es geht also nicht nur um Verdruss, Gleichmut und Todessehnsucht, sondern um eine tragische Liebe, die sich nur im Tod verwirklicht. Auch die verwendete Musik aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“ stützt diese Lesart. Nicht zu vergessen das nächtliche Bad der entblößten Kirsten Dunst im Licht des Planeten – des von ihr mit schlafwandlerischer Gewissheit bedingungslos Geliebten.

Dass dieser Film nahegeht und lange nachwirkt, liegt an den Bildern – und dabei weniger an seinem Pathos als vielmehr an den ambivalenten Stimmungen, die er transportiert. So fremd uns die jenseitige Liebe sein mag, die er erzählt, so vertraut ist uns in Zeiten der akuten Wohlstandsbedrohung die Atmosphäre dunkler Vorahnungen, die der Film über eine Kulisse des angenehmen Lebens legt.

Lars von Trier wählt statt Tristesse die Gediegenheit eines 18-Loch-Golfplatzes mit Herrenhaus, diskretem Personal und Ausritten ins Grüne. Die ständigen Durchhalteparolen, der fremde Planet werde folgenlos vorüberziehen,wie auch die Kassandra-Rufe, alles ende schlimm, sind den Beteuerungen der Offiziellen in der Euro-Krise und den Zwischenrufen der Skeptiker, aber auch der Debatte um die Erderwärmung nicht unähnlich. Und wenn uns bis vor kurzem noch die Sonnenstunden des Novembers erfreuten, mochte uns dabei zugleich auch die irritierende Ahnung beschleichen, dies seien Vorboten eines Klimawandels, der vielleicht nicht mehr aufzuhalten sei. Bei Lars von Trier jedenfalls beginnt es kurz vor Schluss zu schneien. Mitten im Sommer. Robert Schröpfer

Erschienen in der Freien Presse Chemnitz am 8. Dezember 2011.

(Foto: Christian Geisnaes/Verleih)