Ein Fluss, der verbindet

Die Flut hat sie wieder einmal in die Schlagzeilen gebracht. Doch auch ohne Hochwasser ist sie ein bemerkenswerter Fluss. Der Berliner Journalist Uwe Rada erzählt in seinem Buch „Die Elbe“ europäische Geschichte und Geschichten.

Die Elbe

Was für ein Bild man sich von der Elbe macht, ist vor allem eine Frage von Standort und Perspektive. Im Bewusstsein der Hamburger ist der Fluss die Verbindung zur Nordsee. Von Westdeutschland aus mag die Elbe zuweilen als Grenzfluss zu Ostelbien oder – wie dem Rheinländer und Bundeskanzler Konrad Adenauer – als Vorposten Asiens erscheinen. In Sachsen hingegen gilt sie als ein genuin eigenes, mithin nicht preußisches Kulturgut.

Allenfalls durch die Hochwasserbilder, die den eigenen gleichen, wird man daran erinnert, dass sich nicht nur die Sächsische Schweiz und Schloss Pillnitz, Dresden und Meißen und vielleicht noch das Riesengebirge an der Elbe befinden, sondern auch Städte wie Wittenberge, Hitzacker und sogar Lauenburg in Schleswig-Holstein.

„So ist die Elbe ein Puzzle, das sich bis heute nur mühsam zu einem Ganzen fügt“, schreibt der Berliner Journalist und Buchautor Uwe Rada in seinem Buch „Die Elbe – Europas Geschichte im Fluss“, das weder Reise- noch Flutbericht, weder Naturkundebuch noch Flusschronik ist. Wie in den beiden Vorgängerbänden über „Die Oder“ und „Die Memel“ dient dem Autor der Fluss vielmehr als ein roter Faden, der kulturhistorische Exkurse und Anekdoten, Reportageelemente und Reflexionen verbindet – vom glücklosen römischen Feldherrn Drusus und seinen Legionen über das Magdeburg Ottos des Großen bis hin zum Aufstieg Hamburgs zur Hafenmetropole.

Anders als bei Oder und Memel, bei denen Rada immer auch daran gelegen war, den nationalistischen Vereinnahmungsversuchen des 19. und 20. Jahrhunderts deutsch-polnische, deutsch-litauische Gemeinsamkeiten entgegenzusetzen, scheint ein solches Thema diesmal zunächst über weite Strecken tatsächlich zu fehlen. Und wenn es doch so etwas wie eine übergreifende These gibt, dann die, dass die Elbe und ihre Landschaften einen Übergangsraum zwischen Norden und Süden, zwei nicht nur geografisch entgegengesetzten Polen bilden.

Das heißt: hier Hamburg und Preußen, dort Sachsen und Böhmen, respektive Österreich, hier hanseatischer Pragmatismus, dort höfische Prachtentfaltung, hier Luther, Wittenberg und der Protestantismus, dort die Gegenreformation. Mentalitäts- und kulturgeschichtliche Gegensatzpaare, die sich auch ohne die Elbe ganz gut hätten erzählen lassen.

Viel stärker ist das Buch aber da, wo der Autor sich enger an den Flusslauf und die noch persönlich erinnerten Geschichten der Zeitgeschichte hält. Im früheren Grenzgebiet zwischen DDR und Bundesrepublik zum Beispiel führt er mit dem wendländischen Literaturkenner Axel Kahrs an einen Fluss, der in der Zeit der deutschen Teilung für den Westen kein Gegenüber hatte und für den Osten hör-, aber nicht mehr sichtbar war. Die Sperranlagen des Todesstreifens verstellten den Blick.

In und nahe den einst so umstrittenen deutsch-böhmischen Gebieten besucht Rada die frühere k.u.k. Festungsstadt Theresienstadt, die die Nationalsozialisten als Konzentrationslager zu einem Ort des Grauens machten. Außerdem war er in Ústí nad Labem. Im früheren Aussig entdecken engagierte Tschechen gerade Licht und Schatten einer weithin verdrängten deutsch-tschechischen Geschichte wieder.

Und spätestens, wenn Uwe Rada davon erzählt, wie der Seemannsgruß Ahoj ins Tschechische kam, und er das Prager Ufer und den Moldauhafen in Hamburg, ein Stück „Böhmen am Meer“, erkundet, hat er auch in diesem klugen, schön erzählten Buch wieder zu seinem großen Thema gefunden: dass nicht nur die Vergangenheit Verbindendes bietet, sondern wie bei Oder und Memel auch die Zukunft der Elbe nur eine gemeinsame in Europa sein kann. Robert Schröpfer

DAS BUCH Uwe Rada: „Die Elbe – Europas Geschichte im Fluss“, Siedler Verlag München 2013, 320 Seiten, 19,99 Euro.

Gedruckt erschienen in der Freien Presse Chemnitz und der Leipziger Volkszeitung im Sommer 2013.

Elbfähren

Das obere Bild zeigt die Elbe bei Rathen in der Sächsischen Schweiz, das untere Ausflugsschiffe an der deutsch-tschechischen Grenze zwischen Schöna und Herrnskretschen/Hřensko.

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