Von Fußball, Fans und Oligarchen

Acht Suhrkamp-Autorinnen und Autoren aus Polen und der Ukraine stimmen mit der Anthologie „Totalniy Futbol“ auf die bevorstehende Fußball-EM in ihren Ländern ein – und bewegen sich kenntnisreich auf schwierigem Terrain.

Das eine Land eine Demokratie, das andere regiert von einem autoritären Regime. Das eine Mitglied der EU, das andere schon ohne Beitrittshoffnungen, als es innenpolitisch noch auf dem Weg zu Besserem schien: Polen und die benachbarte Ukraine, die beiden Austragungsländer der bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft, könnten politisch unterschiedlicher kaum sein. Tatsächlich stand die Ukraine, als der europäische Fußballverband Uefa die Austragung vergab, noch ganz unter dem Eindruck der Orangenen Revolution. Und Polen war es damals, das mit den konservativen Kaczynski-Brüdern an der Spitze ziemlich alt aussah.

Dennoch – und allen Boykottaufrufen für den ukrainischen Teil zum Trotz – wird die „Euro 2012“ in wenigen Wochen wahrscheinlich angepfiffen. Und auch der Suhrkamp-Verlag, zu dessen Autoren auch der Leipziger Buchpreisträger von 2006, Juri Andruchowytsch, zählt, der aufgrund der Menschenrechtsverletzungen bereits im vergangenen Jahr zum Boykott aufgerufen hatte, begibt sich mit einer Anthologie auf dieses schwierige Terrain.

Unter dem Titel „Totalniy Futbol“ stellen acht Autoren aus Polen und der Ukraine – darunter Andruchowytsch – und mit zahlreichen Schwarzweiß-Fotografien der aus der Ukraine stammende Fotograf Kirill Golovchenko die Austragungsorte vor – von Danzig bis Charkiw, von Breslau bis Donezk, dem ehemaligen Stalino am kleinen Don. Städte, von denen hierzulande wohl die wenigsten wissen, dass sie zum Teil mehr als eine Million Einwohner haben.

Ob Warschau aus der Sicht der Spieler einer früheren Schülermannschaft oder das Breslau der Nachkriegsjahrzehnte als Stadt der Neuankömmlinge aus dem früheren polnischen Osten, ob Kiew und sein legendäres Trainerduo Oleh Basylewytsch und Valeri Lobanowskij oder Lemberg als Metropole verlorener Multikulturalität: Entstanden ist ein vielstimmiges, sehr auskunftsfreudiges, auch schönes Buch, dessen Texte mal erzählender, mal analytischer ausfallen und die im besten Falle mit den Umwälzungen der Gegenwart auch tiefere Schichten der Vergangenheit dieses Landstrichs andeuten. Eines Landstrichs, der im 20. Jahrhundert Schauplatz von deutschem Vernichtungskrieg und Holocaust, von Vertreibungen und Sowjetherrschaft gewesen ist und in dem jetzt überall Bahnhöfe und Flughäfen saniert, Autobahnen gebaut, Stadien und Hotels errichtet werden – offenbar mit dem einen Unterschied, dass davon in Polen westliche Investoren, in der Ukraine hingegen staatsnahe Oligarchen profitieren.

Auch wenn das Buch auch für Nicht-Fußballfans von Interesse sein dürfte: Ohne den Fußball geht es freilich nie. In Sportlerschicksalen und Sportgeschichten, manchmal auch nur Fakten der lokalen Sportgeschichte, werden die großen Zusammenhänge erzählt. Der polnische Schriftsteller Pawel Huelle etwa erinnert an den früheren Danziger Spieler und Werftarbeiter Janek, der in einem entscheidenden Spiel zwei Tore gegen Legia Warschau schoss, dessen Name tags darauf aber nicht in der Zeitung stand. Janek entstammte einer polnischen, schon vor dem Zweiten Weltkrieg in Danzig ansässigen Familie. Sein Vater kam im Konzentrationslager Stutthof um, sein Onkel in Kursk. Die Deutschen hatten ihn zum Kriegsdienst in der Wehrmacht gezwungen. Deshalb war sein Familienname im Nachkriegspolen verfemt.

Der Herausgeber des Buches, der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan, erzählt in seinem ebenso fußballschwärmerischen wie kritischen Beitrag vom Klub Schachtar Donezk, den Fußballfans aus der Champions League kennen, vom Oligarchen Rinat Achmetow und Verquickungen mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, von Rassismus, den „Ultras“ und deren Hass auf die Miliz. Zhadans Hoffnung allerdings, Politik und Geschäft werde auf der EM von einer alles vereinenden Begeisterung für den Fußball, dem titelgebenden totalen Fußball, verdrängt, mutet hingegen eher verzweifelt an. Zwar glaubt Zhadan, die Präsidenten würden in den Stadien ausgepfiffen werden, abgesehen davon aber dürfte doch genau so das Kalkül der Mächtigen in seinem Land aussehen. Robert Schröpfer

DAS BUCH Serhij Zhadan (Hg.): „Totalniy Futbol – Eine polnisch-ukrainische Fußballreise“. Edition Suhrkamp 2012, 242 Seiten, 18 Euro.

 

Erschienen in der Freien Presse Chemnitz, im Weser-Kurier Bremen und in der Leipziger Volkszeitung im April/Mai 2012.