Ein Fluss, der verbindet

Die Flut hat sie wieder einmal in die Schlagzeilen gebracht. Doch auch ohne Hochwasser ist sie ein bemerkenswerter Fluss. Der Berliner Journalist Uwe Rada erzählt in seinem Buch „Die Elbe“ europäische Geschichte und Geschichten.

Die Elbe

Was für ein Bild man sich von der Elbe macht, ist vor allem eine Frage von Standort und Perspektive. Im Bewusstsein der Hamburger ist der Fluss die Verbindung zur Nordsee. Von Westdeutschland aus mag die Elbe zuweilen als Grenzfluss zu Ostelbien oder – wie dem Rheinländer und Bundeskanzler Konrad Adenauer – als Vorposten Asiens erscheinen. In Sachsen hingegen gilt sie als ein genuin eigenes, mithin nicht preußisches Kulturgut.

Allenfalls durch die Hochwasserbilder, die den eigenen gleichen, wird man daran erinnert, dass sich nicht nur die Sächsische Schweiz und Schloss Pillnitz, Dresden und Meißen und vielleicht noch das Riesengebirge an der Elbe befinden, sondern auch Städte wie Wittenberge, Hitzacker und sogar Lauenburg in Schleswig-Holstein.

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Volk und Kunst und Gewerbe

Eine Ausstellung in Dresden feiert „100 Jahre Volkskunst im Jägerhof“ und erinnert auch daran, wie einst aus der Sehnsucht nach der guten alten Zeit die „erzgebirgische Volkskunst“ als Marketing-Idee entwickelt wurde.

Als 1896 im damaligen Dresdner Ausstellungspalast am Großen Garten eine große Gewerbeschau stattfand, bewunderten Tausende Besucher nicht nur neueste Produkte und technische Errungenschaften. Vor dem Eingang der erst kurz zuvor eröffneten Hallen waren auch ein sorbisches Dorf und eine „alte Stadt“ errichtet worden, die mit Trachten, traditionellen Möbeln und Hausrat zu einer Hauptattraktion des Ausstellungssommers avancierten. Ausgerechnet im Rahmen einer Veranstaltung, die den Fortschritt zelebrierte, feierten mithin zwei Programmpunkte Erfolge, die im Gegenteil einer wachsenden Sehnsucht nach heiler Welt und der vermeintlich guten alten Zeit entgegenkamen.

Eine Vereinsgründung und 18 Jahre später, im September 1913, sollte die mittlerweile gewachsene Sammlung dann im Dresdner Jägerhof, einem Renaissancebau auf der Neustädter Elbeseite, der zuvor als Kaserne und Straßenbahndepot genutzt worden war, ein dauerhaftes Domizil eröffnen. Denn genauso wie der Nachbau des Dorfes den Grundstock für das Sorbische Museum in Bautzen gelegt hatte, war aus der „alten Stadt“ das Museum für Sächsische Volkskunst hervorgegangen.

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Vielschreiber und Tausendsassa

Noch vor einem Jahr sollte das Kraszewski-Museum in Dresden geschlossen werden. Stattdessen hat es nun eine neue Dauerausstellung bekommen. Sie zeigt den polnischen Literaten als rastlosen und vielfach talentierten Künstler. 

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Als das Dresdner Kraszewski-Museum vor einem Jahr geschlossen werden sollte, schien es, als könne die Politik ganz gut auf das deutsch-polnische Gemeinschaftsprojekt verzichten. Erst hatte Polen sämtliche Ausstellungsstücke zurückbeordern müssen, die das frühere Wohnhaus des polnischen Schriftstellers Józef Ignacy Kraszewski seit 1960 bestückten. Grund war ein Gesetz, das historische Kulturgüter nicht mehr länger als fünf Jahre ins Ausland zu verleihen gestattet.

Und als die polnische Seite dann das Gespräch über die Weiterführung des Museums suchte, wollte die entsprechende Post aus der Botschaft in Berlin im Dresdner Kulturrathaus niemand erhalten haben. Stattdessen dachte man in der Stadtverwaltung über mögliche Käufer der idyllisch am Rande der Äußeren Neustadt gelegenen Immobilie mit Gartengrundstück nach.

Dass das Museum nun dennoch weiterbestehen wird, ist vor allem öffentlichem Druck und Polens Kulturminister Bogdan Zdrojewski zu verdanken. Offenbar beflügelt vom „Kraszewski-Jahr“, das das Nachbarland 2012 aus Anlass des 200. Geburtstags des Literaten feierte, gab der Politiker, früher Oberbürgermeister von Dresdens Partnerstadt Breslau, 50.000 Euro für Konzeption und Ausgestaltung einer neuen Ausstellung für Dresden durch das Warschauer Adam-Mickiewicz-Literaturmuseum frei.

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„Ein Schaufenster des Ostens“

Die Wiener Sprachwissenschaftlerin Tina Welke über Bilder vom Osten und die frühen „Tatorte“ des MDR

Die „Tatort”-Reihe gilt als ein Chronist der bundesdeutschen Gesellschaft. Denn erzählt wird zumeist auch etwas über die Realität. Die Wiener Sprachwissenschaftlerin Tina Welke, geboren 1968 in Ost-Berlin, hat sich in ihrer gerade erschienenen Dissertation „Tatort Deutsche Einheit – Ostdeutsche Identitätsinszenierung im ,Tatort‘ des MDR“ mit den 45 Folgen beschäftigt, die 1991 bis 2007 mit dem Ermittlerduo Ehrlicher/Kain alias Peter Sodann und Bernd-Michael Lade entstanden.

Der MDR stand in den Neunziger- und Nullerjahren in der Kritik, er habe nicht viel mehr als Schlager, Ost-Stars und einen nostalgischen Blick zurück auf die DDR zu bieten. Sie haben sich mit den MDR-„Tatorten“ jener Jahre beschäftigt. Ist der Sender besser als sein Ruf?

Tina Welke: All das gibt es natürlich. Aber Sie finden im Programm auch Dinge, die diesem Vorurteil nicht entsprechen: eine Kurzfilmreihe, anspruchsvolle Spielfilme, Dokumentationen, die sich kritisch auch mit der DDR auseinandersetzen. Was den „Tatort“ angeht, muss man noch einmal unterscheiden: Anders als das MDR-Fernsehen wendet er sich nicht vorrangig an das Publikum im eigenen Sendegebiet, sondern an ein überregionales Publikum. Damit ist er auch ein Schaufenster. Er eröffnet einen Blick in das eigene Sendegebiet.

Wie sieht er aus, dieser Blick in den Osten?

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Land der Hoffnungen, Land der Widersprüche

Der Schriftsteller Chaim Noll erzählt in seinem Buch „Kolja“ Geschichten aus Israel. Er zeigt ein anderes Land, als wir es aus dem Fernsehen kennen.

Dass Chaim Noll nicht nur gut erzählen kann, sondern auch einen Blick für gesellschaftliche Verhältnisse besitzt, hat er schon vor Jahren in seinem autobiografisch inspirierten Roman „Der goldene Löffel“ bewiesen. Der Schriftsteller, Sohn des linientreuen DDR-Autors Dieter Noll („Die Abenteuer des Werner Holt“), hatte den Wehrdienst verweigert und war 1983 in den Westen übergesiedelt. Nun zeichnete er aus der Binnensicht eines mit dem titelgebenden goldenen Löffel im Mund Geborenen ein Bild aufrührerischer Jugend in einem System, das sich als verknöchert und reformunfähig erweist. Es war ein vorweggenommener Abgesang: Kurz nachdem der Roman im September 1989 erschienen war, fiel bekanntlich die Mauer.

Auch sein neuestes Buch, der Erzählungsband „Kolja – Geschichten aus Israel“, liefert jetzt eine gesellschaftliche Analyse mit, freilich mit umgekehrten Vorzeichen. Chaim Noll, der mit seiner Familie 1995 nach Israel übersiedelte und sich in der Negev-Wüste nahe Beer-Sheva, aber auch nahe dem Zaun zu den besetzten Gebieten niederließ, entwirft darin ein Bild seiner Wahlheimat jenseits verbreiteter Stereotype. Und so gegenwärtig Ungerechtigkeiten und die Bedrohung durch Gewalt in den knapp 40 Geschichten auch sind, findet er doch immer wieder auch Hoffnungspunkte, vielleicht sogar eine Art Aufbruchstimmung.

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Was nicht passt …

Schubladendenken, Klischees und Vorurteile sind weit verbreitet – und keiner ist von ihnen frei. Wenn wir uns von ihnen leiten lassen, schaden wir damit aber nicht nur anderen, sondern auch uns selbst.

Schublade

Ob „Frauen können nicht einparken“ oder „Blondinen sind dumm“, ob „Schwarze sind musikalisch“, „Asiaten fleißig“, „Beamte faul“, „Schwule kreativ“ oder „Lehrer immer krank, jedenfalls wenn nicht gerade Ferien sind“: An Stereotypen und Vorurteilen besteht in unserer Welt kein Mangel. Da sind Stereotype über Filme, Bücher und andere Produkte („Chinesische Waren taugen nicht viel“), da sind solche über bestimmte Orte oder Stadtviertel („Wie kann man nur da wohnen?!“) und über bestimmte Rollen und Berufe oder Anhänger eines bestimmten Lebensstils („Popper/Punker/Banker finde ich blöd“).

Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie sich bei genauem Hinschauen kaum als zutreffend erweisen. Und dass sie spätestens, wenn sie sich auf Kategorien wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe, ethnische Herkunft oder sexuelle Orientierung beziehen, nichts anderes als eben sexistische, rassistische oder homophobe Stereotype und Vorurteile darstellen. Wer solche Klischees pflegt, überschreitet schnell den schmalen Grat zwischen Denkfaulheit und Diskriminierung. Ganz zu schweigen von den verheerenden Folgen, die Rassismus und Antisemitismus in der Geschichte nach sich zogen und bis in die Gegenwart noch viel zu häufig nach sich ziehen.

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Unser Papst, eure Diebe

Über heikle Tischgespräche

Dass das Klischee Polen und Autoklau ein heikles Gesprächsthema ist, bemerkten wir neulich beim Essen mit Besuch aus L. Es ging um die DDR und die Volksrepublik, den Kirchensender Radio Maryja und die Kaczynski-Brüder, um „unseren“ und „euren“ Papst (wobei wir uns nicht angesprochen fühlten), und irgendwie kamen wir auch auf die Witze „dieses Entertainers“. „Harald Schmidt?“ „Genau.“ Denn wie hierzulande Thema wird, wenn polnische Zeitungen Angela Merkel mal wieder eine Hakenkreuzbinde an den Arm fotomontieren, sorgt im Nachbarland für Empörung, wenn sich Dirty Harry Polen zuwendet.

Man müsse Schmidt nicht mögen, versuchten wir zu erklären, aber er betreibe eine Art Bildungsfernsehen mit anderen Mitteln: Wenn er Chauvi-Witze mache, ziele das auch darauf ab, Vorurteile seiner Zuschauer aufzudecken. Schließlich komme er vom Theater oder zumindest vom Kabarett. Zugegeben, ganz sicher seien wir uns mit dieser These nicht. Auf jeden Fall aber mache er solche Witze über alles und jeden.

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Die Sportifizierung der Welt

Vom antiken Olympia bis ins 21. Jahrhundert: Zu allen Zeiten trieben Menschen Sport. Der Historiker Wolfgang Behringer hat eine ebenso faktenreiche wie unterhaltsame „Kulturgeschichte des Sports“ geschrieben.

Wie sehr sich im Florenz der Medici das öffentliche Leben um den Fußball drehte, darauf verwies vor einigen Jahren der Kunsthistoriker Horst Bredekamp mit seiner Studie „Florentiner Fußball – Die Renaissance der Spiele“. Nachdem die mächtige Patrizierfamilie Anfang des 16. Jahrhunderts die Republik endgültig beseitigt und eine Alleinherrschaft über die Stadt errichtet hatte, verschwand nicht etwa der Calcio, der bis dahin volkstümliche Fußball. Die Medici bauten ihn zum regelrechten Staatssport aus.

Bei Hochzeiten, Staatsbesuchen und offiziellen Anlässen jeder Art wurden Gala-Spiele – wenn auch nach anderen Regeln als heute – mit teuren Trikots, aufwendigen Fahnen und einem zeremoniellen Mannschaftseinmarsch abgehalten. Mitglieder des Herrscher-Clans stellten sich gern selbst als Spieler auf. Auch das Wappen der Familie bezog man in die Aneignung ein: Die sechs Kugeln, die es zeigte, wurden in Bilddarstellungen mit Fußbällen in Verbindung gebracht, die italienisch ebenfalls „Palle“ heißen.

Bei dem Historiker Wolfgang Behringer, Professor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Spezialist für die frühe Neuzeit, ist der Florentiner Fußball nun Teil einer umfassenden „Kulturgeschichte des Sports“. Und auch wenn die Literatur vielfach erst das 19. Jahrhundert zum Beginn eines eigentlichen Sports deklariert und dann zuweilen allenfalls die Antike als eine Art Vorläufer gelten lässt, wird bei der Lektüre des 500-Seiten-Bandes sehr klar, dass der Calcio der Medici keineswegs eine Ausnahme in seiner Zeit darstellte.

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Sein ärgster Feind

Propaganda und Kanonen: Mitten im brandenburgischen „Friedrichjahr“ wirft eine Ausstellung in Branitz ein neues Licht auf einen sächsischen Kontrahenten des Preußenkönigs – den Minister Brühl.

Graf Brühl, porträtiert von Marcello Bacciarelli (um 1745), © SKD_Pückler-Museum

Der eine ein asketischer Philosoph auf dem Thron – hart gegen andere, aber auch gegen sich selbst. Der andere ein gewissenloser Emporkömmling – prunksüchtig, eigennützig, eitel und intrigant. Die Bilder, die sich von Preußenkönig Friedrich II. (1712 bis 1786) und seinem sächsischen Widersacher Heinrich Graf von Brühl (1700 bis 1763) bis heute halten, könnten gegensätzlicher kaum sein.

„1.500 Perücken und keinen Kopf“, so sprach Friedrich über seinen Kontrahenten. „Ohne besondere Fähigkeiten und ohne staatsmännische Einsicht verstand er doch seinen Herrn völlig zu leiten“, hielt Meyers Konversationslexikon anderthalb Jahrhunderte später über den Grafen fest. Und der polnische Schriftsteller Józef Ignacy Kraszewski, der die Sachsen, verglichen mit den Preußen, noch als das kleinere Übel empfinden musste, fällte das kaum mildere Urteil, beide – Friedrich wie Brühl – hätten „Formen des Bösen“ verkörpert. „Brühl“, schrieb er, „war der glänzende Vertreter der Lüge, Friedrich der des Zynismus.“

Ausgerechnet in Brandenburg, wo man in diesem Jahr mit Ausstellungen und Buchveröffentlichungen den 300. Geburtstag Friedrichs begeht, und im nahen Polen wird nun in diesem Sommer in einem dreiteiligen Ausstellungsprojekt des sogenannten europäischen Parkverbunds Lausitz ein Versuch unternommen, an dem sich zuletzt auch einige Brühl-Biografen abgearbeitet haben: dem sächsischen Minister Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – und auf Facetten im Verhalten Friedrichs hinzuweisen, die alles andere als aufgeklärt erscheinen.

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Idyll und Verbrechen

In Sachsen gab es einst ziemlich viele und vor allem viel zu berüchtigte Gefängnisse für so ein kleines Land. 

Frankreich gilt als Land der Revolution, Preußen als das des Militärs. Und wenn man Polen wegen seiner vielen Aufstände oft ein Land der Freiheitsliebe nennt, dann muss Sachsen, das sich selbst gerne als friedliebend und kunstbeflissen darstellt, wohl umgekehrt viel eher als eines der Unfreiheit gelten, verfügte es einst doch vom Plauener Hradschin im Vogtland bis zum alten Dresdner Landgericht, von Hoheneck in Stollberg/Erzgebirge bis zum früheren Torgauer Reichskriegsgericht für ein so kleines Land über ziemlich viele und vor allem viel zu berüchtigte Gefängnisse.

Ob die Gräfin Cosel auf Burg Stolpen, August Bebel auf Schloss Osterstein oder Karl May im Zuchthaus Waldheim: Fragt sich, welcher Prominente nicht in einem Sachsen-Knast gesessen hätte. Und die wenigen, die es nicht taten, scheinen wie Gottfried Semper oder Richard Wagner nach dem Dresdner Mai-Aufstand von 1849 nur gerade so entronnen. Ganz zu schweigen von der Zeit des Nationalsozialismus, vom „Gelben Elend“ in Bautzen, von der Mordfabrik in Pirna auf dem Sonnenstein oder den vielen Außenlagern des Konzentrationslagers Flossenbürg, die sich überall in Sachsen befanden, später von sowjetischen Speziallagern und Bautzen II, dem Stasi-Gefängnis.

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